„Auf dieser Reise gibt es viel Glück zu finden, aber es ist nicht zu vergleichen mit dem, was hätte sein können/sollen“
Im Interview erzählen Anna und Paolo vom Leben mit ihrem an PCH2 erkrankten Sohn Emiliano. Von ihrem Leben zwischen ihrem Heimatland, Italien und der Türkei, von ihrem Leben zwischen dem Zurechtkommen mit der Behinderung von Emiliano und dem Aufbau einer neuen Welt für sich, in der das Glück neben all den Herausforderungen, die die Erkrankung mit sich bringt, einen Platz haben darf und soll.
Wer gehört zu Eurer Familie?
Wir sind Paolo, Anna und Emiliano (6 Jahre alt), sowie Emjay, Emilianos Kindermädchen.
Wir sind Italiener, die in Istanbul (Türkei) leben, wo Paolo als Angestellter einer internationalen Organisation tätig ist. Obwohl wir eine unterstützende Großfamilie in Italien haben, sind wir auf dieser Reise im Wesentlichen auf uns allein gestellt. Unterstützt werden wir von Emjay, die ein fester Bestandteil unserer Familie geworden ist und sich genauso um Emiliano kümmert wie wir.
Wir haben auch gute Freunde, die immer bereit sind, uns zu helfen und die ebenfalls eine tiefe Liebe zu Emiliano teilen. Wir sind beide berufstätig, können aber auch im Homeoffice arbeiten, wenn es nötig ist. So können wir Emiliano nahe sein, vor allem, wenn er nicht in der Schule ist.
Wie hat Eure Reise mit PCH2 begonnen?
Emiliano wurde mit der Nabelschnur um den Hals geboren. Er wurde einige Stunden lang im Inkubator behandelt, und als man ihn zu uns ins Zimmer brachte, stellten wir fest, dass er nicht an der Brust trank und sowohl in den unteren als auch in den oberen Gliedmaßen stark zitterte.
Nach einer auffälligen Ultraschalluntersuchung des Gehirns, wurde Emiliano für weitere Untersuchungen auf die Neugeborenen-Intensivstation verlegt. Hier wurde auch ein MRT durchgeführt, welches bereits auf eine pontocerebelläre Hypoplasie hindeutete. Aufgrund von Saugschwierigkeiten und einer Sauerstoffentsättigung bei der Nahrungsaufnahme wurde eine Nasen-Magen-Sonde gelegt.
Nach einem zweimonatigen Aufenthalt auf der Neugeborenen-Intensivstation wurde Emiliano in ein Rehabilitationszentrum verlegt, wo genetische Untersuchungen durchgeführt wurden. Im Alter von 7 Monaten erhielten wir nach genetischen Tests die Diagnose PCH Typ 2A.
Wie ging es Euch in dieser ersten Zeit? Was hat Euch geholfen und was war am schwierigsten?
Am Anfang waren wir zweifellos traumatisiert. Wir mussten uns damit abfinden, dass wir für längere Zeit in einem Krankenhaus untergebracht waren, und wir mussten uns auf die Herausforderung einstellen, ein Kind mit einer extremen Behinderung und einer möglicherweise begrenzten Lebenserwartung nach der Entlassung aus dem Krankenhaus zu versorgen – eine entmutigende Realität.
Das Schwierigste war, sich von den Ärzten immer wieder anhören zu müssen, dass unser Sohn in seinem Leben nichts erreichen würde und dass es besser sei, nichts zu hoffen.
Anna holte sich psychologische Unterstützung, diese spielte eine entscheidende Rolle bei der Versöhnung mit Emilianos Diagnose und bei der Verlagerung unseres Fokus auf den Aufbau einer neuen Welt für uns selbst. In dieser neuen Welt sollte das Glück nicht in Vergessenheit geraten, und wir begannen, mit der irrigen Vorstellung aufzuräumen, dass eine (schwere) Behinderung gleichbedeutend ist mit einem Leben ohne sinnvolle Erfahrungen, Freude, Reisen und Erfüllung.
Das Kennenlernen anderer Familien mit behinderten Kindern in sozialen Netzwerken, die verschiedene positive und erfüllende Ansätze für ein Leben mit Behinderung aufzeigten, war hilfreich. Außerdem bot der Kontakt zu speziellen Gruppen von Menschen mit Kindern mit PCH wertvolle Unterstützung.
Welche Symptome hat Emiliano? Haben sich diese Symptome im Laufe der Zeit verändert?
Emiliano leidet unter einer schweren motorischen und kognitiven Verzögerungen, durch verschiedene Rehabilitationstherapien können wir hier aber deutliche Verbesserungen feststellen. Er hat mittlerweile eine verbesserte Rumpf- und Kopfkontrolle, mit Unterstützung kann er aufstehen und einige zielgerichtete Bewegungen ausführen.
Bemerkenswert ist, dass Emiliano Befehle (italienisch und englisch) gut versteht. Er kommuniziert indem er Ja/Nein sagt, seine Präferenzen mit Hilfe von Symbolen der Unterstützten Kommunikation (AAC) ausdrückt, seinen Kopf bewegt oder mit der Hand gestikuliert. Er erkennt Farben, Zahlen bis 10, einige Buchstaben und abstrakte Konzepte wie groß/klein.
Wir haben erhebliche Anstrengungen unternommen, um Emiliano’s Ess- und Schluckverhalten zu rehabilitieren, so dass Emiliano nun eine halbfeste Nahrung zu sich nimmt.
Emiliano litt unter starkem Reflux, insbesondere bei Verwendung der Sonde. Die Umstellung auf halbfeste Nahrung hat sich als wirksam erwiesen, um den Reflux deutlich zu reduzieren. Bei sorgfältiger Behandlung (auch medikamentös) ist der Reflux weitgehend unter Kontrolle.
Emiliano hat eine Epilepsie, die jedoch durch die Einnahme von Medikamenten wirksam behandelt ist. Es hat den Anschein, dass Emiliano in Verbindung mit hohen Fieberschüben Anfälle erleidet.
Erheblich beeinträchtigt wird er durch die Dystonie. Er erlebt täglich mäßig unkontrollierte Bewegungen, die sich zu dystonen Krisen ausweiten können. Diese sind immer ein Indikator für anstehende Erkrankungen und treten 5-7 Mal pro Jahr auf.
Auch störten die Dystonien Emiliano beim Einschlafen. Tetrabenazin hat sich bei diesem speziellen Problem als äußerst wirksam erwiesen, da es die Dauer der dystonen Episoden während der Einschlafphase deutlich reduziert. Auf die täglichen unkontrollierten Bewegungen zeigt das Medikament allerdings nur begrenzt Wirkung.
Was hilft Euch, Euren Familienalltag zu bewältigen?
Unser Kindermädchen, das Emiliano völlig unabhängig betreut. Sie kümmert sich geschickt um alle Bedürfnisse von Emiliano und beteiligt sich aktiv an seiner täglichen Therapie zu Hause. Außerdem ermöglicht sie uns kurze Auszeiten, in der Regel 2-3 Mal pro Jahr. Diese sind für uns als Eltern sehr wichtig, sie ermöglichen es uns, neue Kraft zu schöpfen und uns Emiliano mit neuer Energie und Konzentration zuzuwenden.
Was sind die größten (alltäglichen) Herausforderungen für Euch?
Am schwierigsten ist es, wenn Emiliano, aus welchen Gründen auch immer, mehrere Tage hintereinander nicht schlafen kann.
Außerdem bereitet das Leben zwischen zwei Ländern allmählich Schwierigkeiten. Die Logistik und die Unterbringung während der Reisen können ziemlich anspruchsvoll sein.
Wie sieht so ein normaler Tag in Eurer Familie aus?
Unter der Woche beginnt unser Tag mit dem Aufwachen gegen 7:30 Uhr. Während Anna das Frühstück zubereitet, kuscheln Paolo und Emiliano gemeinsam im Bett. Vor dem Frühstück nimmt Emiliano seine Medikamente ein. Nach dem Frühstück spielt Anna mit Emiliano, badet ihn anschließend und zieht ihn an. Danach schläft Emiliano meist nochmal für etwa 30 Minuten.
Gegen 10 Uhr bringt Anna Emiliano zur Schule, und wir arbeiten beide bis etwa 19 Uhr.
Wenn Emiliano um ca. 16:30 Uhr mit seinem Kindermädchen Emjay von der Schule zurückkommt, ist Zeit für Rehabilitationstherapien, Spielen oder Baden. Emiliano wird auch zweimal pro Woche in der Schule rehabilitiert.
Anna kümmert sich normalerweise um das Füttern von Emiliano und dann essen wir drei gemeinsam zu Abend, wobei Emiliano in seinem speziellen Stuhl neben uns sitzt. Nach dem Essen wird noch etwas gekuschelt und gespielt. Emiliano nimmt seine Medikamente und geht gegen 20.30h ins Bett.
Könnt Ihr uns einige Eurer schönsten Familienmomente erzählen?
Emiliano zu wecken, gemeinsam im Bett zu liegen und zu kuscheln ist einer unserer Lieblingsmomente.
Wir haben das Glück, von zu Hause aus arbeiten zu können und bei Bedarf flexibel zu sein, so dass wir auch die Momente genießen können, wenn Emiliano von der Schule zurückkommt. In diesen Momenten erzählt er begeistert von seinen Erlebnissen und beschreibt sie in seiner eigenen Sprache, denn Emiliano ist unglaublich lautstark, wenn er gut gelaunt ist (und Emjay hilft uns, seine Worte zu „übersetzen“).
An den Wochenenden verbringen wir mehr Zeit mit Emiliano und wir wissen das sehr zu schätzen. Egal, ob wir mit ihm im Bett spielen, ihn kitzeln oder ihm Geschichten vorlesen: sein Lachen bringt unendlich viel Freude in unser Leben und schafft wertvolle Erinnerungen, die uns sehr am Herzen liegen.
Was hat sich im Laufe der Zeit verändert und wie geht es Euch als Familie heute?
Der Anfang war eine große Herausforderung. Im ersten Jahr war Paolo hauptsächlich in der Türkei, während Anna mit Emiliano in Italien war, da wir nicht in der Lage waren, mit dem kleinen Emiliano umzuziehen. Als wir schließlich mobiler wurden (da war Emiliano 11 Monate alt), begann sich alles zu verbessern. Wir verlagerten allmählich unseren Schwerpunkt vom Umgang mit der Behinderung auf das normale Familienleben.
Der Umgang mit der Behinderung ist natürlich nicht einfach. Es gibt Zeiten, in denen wir von schlaflosen Nächten müde sind, Zeiten, in denen wir mehr Zeit im Krankenhaus als zu Hause verbringen, aber im Allgemeinen sind wir glücklich. Wir lieben uns sehr und wir sind von unglaublich viel Liebe umgeben, von netten Menschen, die immer bereit sind, uns zu helfen und glücklichen Momenten.
Emjay, die für Emiliano wie eine Mutter ist, hilft uns ungemein, und wir sind so glücklich, dass sich unsere Wege gekreuzt haben.
Es ist notwendig, Dinge im Voraus zu planen, aber bisher haben wir fast alles geschafft, was wir geplant haben. Emiliano hat viele positive Erfahrungen gemacht: Er ist in 10 verschiedene Länder gereist, hat versucht, auf einem Pony zu reiten, hat heiße Quellen genossen, hat Höhen von fast 3.000 Metern erreicht und ist mit uns in seinem Fahrradkart gefahren.
Wir sind uns bewusst, dass die Dinge komplexer werden, je größer Emiliano wird. Das Reisen mit dem Flugzeug ist zum Beispiel komplizierter geworden und erfordert viel mehr Organisation. Außerdem stellen Aufgaben wie das Tragen von Emiliano, der jeden Tag schwerer wird, neue Herausforderungen dar, die wir als Familie meistern.
Was würdet Ihr Euch für Emiliano wünschen?
Wir hoffen, dass Emiliano weiterhin von der Liebe seiner Familie und Freunde umgeben sein wird. Wir wünschen uns, dass sein Leben mit positiven Erfahrungen gefüllt ist. Wir hoffen auch, dass sich sein Zustand nicht zu etwas verschlechtert, das schwerer zu handhaben und vor allem schmerzhafter für ihn ist.
Was ist das Tolle an Emiliano?
Viele Dinge sind wirklich toll an Emiliano, aber vielleicht ist sein Lachen (er hat zum ersten Mal gelacht, als er 11 Monate alt war) das Größte.
Und die innere Stärke, die er uns gibt. Zu wissen, dass unser Kind jeden Tag zurechtkommt, trotz der sehr schwierigen Bedingungen, die er hat, gibt uns das Gefühl, dass jedes andere Problem, mit dem wir konfrontiert sind, nicht so wichtig ist.
Welchen Rat würdet Ihr Eltern, bei denen gerade die Diagnose PCH2 gestellt wurde, gerne geben?
Es ist in der Tat ein langer Weg, aber wenn man sich auf die gegenwärtigen Momente konzentriert und einen Schritt nach dem anderen macht, kann man die Dinge in den Griff bekommen.
Zögert nicht, andere um Hilfe zu bitten! Versucht, ein unterstützendes Netzwerk um euch herum aufzubauen!
Auf dieser Reise gibt es viel Glück zu finden, aber es ist nicht zu vergleichen mit dem, was hätte sein können/sollen.
„Zögert nicht, andere um Hilfe zu bitten!“
(Anna und Paolo)
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