Familienporträts Sternenkinder

Familienporträts Sternenkinder
Ein Kerzenhalter in Form zweier haltender Hände hält die Kerze mit der Aufschrift „Die Liebe bleibt“, ein Geschenk an die Familie nach Bastis Tod. „Schön, dass Basti auch dabei ist“, sagt sein Bruder, als dieser schöne Regenbogen bei einer Familienfeier erschien. © Privat

„Er hatte viele geschenkte Jahre“

Anke Roesch aus Deutschland nimmt uns mit auf die Reise ihrer Familie mit der Diagnose PCH2. Sie erzählt von vielen schweren, aber auch vielen guten Jahren mit ihrem Sohn Sebastian, der im Jahr 2021 im Alter von 29 Jahren verstorben ist.

„Fragen Sie ruhig, wir gehen mit allem sehr offen um“, mit dieser Eröffnung schafft es Anke Roesch ihrem Gegenüber bereits in den ersten Sätzen des Gesprächs die Unsicherheit zu nehmen. Diese Fürsorge für die Bedürfnisse anderer wurde auch ihrer Familie und insbesondere ihren Kindern zuteil.

Alleine

Sebastian, liebevoll Basti genannt, wurde als jüngster der drei Roesch-Brüder 1992 geboren. Der erfahrenen Mutter fiel direkt auf, dass mit ihrem Jüngsten etwas anders war, sie ließ sich aber zunächst von den Kinderärzten beruhigen.

Erst ein im Alter von 3 Monaten durchgeführtes MRT des Kopfes brachte die Gewissheit. Diese wurde der Familie im Beisein der damals 4- und 5- jährigen älteren Geschwister schonungslos beigebracht. Nach Aussage der Neurologin sei Sebastian ein schwerstmehrfachbehindertes Kind mit einer 3-jährigen Lebenserwartung.

Eine eindeutige Diagnose sollte es aber erst viel später geben.
Ein Auffangnetz in Form von Beratung oder Hilfsangeboten gab es damals nicht. So stand die Familie, die erst vor Kurzem umgezogen und damit weit weg von helfenden Großeltern war, zunächst alleine da. Alleine mit der Diagnose, den eigenen Sorgen und Ängsten, den älteren Geschwistern und dem kleinen Baby, welches oft unruhig war.

Jeden im Blick behalten

„Anfangs flossen viele Tränen, aber dann haben wir uns Stück für Stück aufgerappelt”, so Anke Roesch. Emotionale Unterstützung kam durch ein älteres Ehepaar, bei welchem die Roeschs damals zur Miete wohnten. Die Eltern versuchten den Spagat zwischen der Versorgung von Sebastian, dem Auffangen der älteren Geschwister, den alltäglichen Aufgaben und den eigenen Bedürfnissen hinzubekommen.

Innerhalb der fünf Roeschs entwickelte sich ein großer Familienzusammenhalt. Anke Roesch erinnert sich: „Unser Mantra war: Wir müssen alles tun, damit es Basti gut geht. Aber jeder hat sein Recht, alle 3 Kinder sind auf einer Ebene und sind gleich wichtig. Wir haben alles zusammen gemacht ohne Hilfe von außen.“

Dabei war es den Eltern wichtig, die älteren Brüder nicht zur Mithilfe bei der Versorgung von Sebastian zu „verpflichten“. Das kam aber im Laufe der Zeit von ganz alleine und freiwillig und unter den Brüdern entwickelte sich eine enge Verbindung.

Die ersten 6 Jahre waren sehr hart 

„Sebastian ging es nicht gut, er hat viel geweint und wurde eigentlich auf meinem Arm groß“, so Anke Roesch. Eine Einrichtung besuchte er zu dieser Zeit nicht, sodass er rund um die Uhr von den Eltern versorgt wurde. Als es Sebastian zunehmend schlechter ging und er mehrmals ins Krankenhaus musste, wurde eine junge Assistenzärztin auf die Familie aufmerksam und nahm sich Sebastian an. 

So kam bei einer der Untersuchungen heraus, dass Sebastian einen ausgeprägten Reflux hatte und die Speiseröhre kurz vor dem Durchbruch stand. 

Der Beharrlichkeit von Vater Volkmar ist es zu verdanken, dass sich die zunächst zögernden Ärzte doch zu einer Operation entschlossen. „Basti war immer ein Stehaufmännchen“, lacht Anke Roesch. Drei Tage nach der Operation war Sebastian wie ausgetauscht. Sebastian ging es deutlich besser, er war ruhiger und zufriedener und konnte nun viel mehr an seiner Umwelt teilnehmen.

Bauchgefühl

„Wir haben alles mit ihm gemacht, ihn so normal wie möglich behandelt“, berichtet die dreifache Mutter, „Basti war immer mittendrin, im Rollstuhl hat er seinen Brüdern beim Spielen zugeschaut, war bei mir, wenn ich Haushalt machte oder arbeitete.“ 

Die zuvor sehr kräftezehrende Suche nach Therapien und Fördermöglichkeiten wurde von der Familie beendet. „Wir haben beschlossen, wir nehmen ihn genau so wie er ist, keine weiteren einschneidenden Therapien. Wenn Basti aus der Schule kommt, ist Feierabend und er darf sich entspannen.“, so Anke Roesch. 

Dies brachte deutliche Entspannung in das Leben der Familie, auch wenn es natürlich weiterhin schwierige Phasen gab. Neben dem Reflux und der Magen-Darm-Problematik war auch die hinzukommende Epilepsie sehr belastend. Die Eltern ließen sich aber zunehmend von ihrem Bauchgefühl leiten und würden es auch heute wieder so machen. 

Wenn Anke Roesch anderen Eltern etwas mit auf den Weg geben müsste, so wäre es dieses Bauchgefühl: „Hört auf euer Bauchgefühl. Und auch Mütter sind nur Menschen, auch wir haben Grenzen und das ist ok.“

Entlastende Diagnose

Als die Familie im Jahr 2000 die Diagnose PCH2 erhielt und diese 2009 genetisch bestätigt wurde, sei dies beinahe ein Glücksgefühl gewesen, erinnert sich die Mutter. Es habe sich ein Kreis geschlossen, da die Erkrankung nun einen Namen hatte und zuvor bestehende Schuldgefühle („habe ich etwas falsch gemacht“) nun losgelassen werden konnten. 

Von Beginn an war Familie Roesch im PCH2-Forum aktiv. Durch das Forum und Besuche im Kinderhospiz bekamen sie viele wertvolle Tipps und Unterstützung, konnten aber vor allem auch Kontakte und Freundschaften zu anderen Familien aufbauen und Kraft tanken

Diese Unterstützung durch Vernetzung und leicht zugängliche Informationen, sowie Ärzte und andere Professionelle, die sich annehmen und genau hinschauen, das hätte sich Anke Roesch für sich und ihre Familie früher gewünscht. Um dies anderen Familien zu ermöglichen, ist sie auch heute noch im Forum aktiv und teilt ihre Erfahrungen.

„Wir waren gut vorbereitet“

So stimmt Anke Roesch im Gespräch auf den letzten Abschnitt in Sebastians Leben ein. 

Mit 27 Jahren zog Sebastian ins Blindeninstitut. Bereits zuvor verfassten seine Eltern eine Patientenverfügung für ihren Sohn und ließen sich auch hierbei von ihrem Bauchgefühl und der Frage „Wie würden wir es für uns wollen, wenn wir in seiner Situation wären“ leiten. 

Nachdem seine Mutter reichlich Starthilfe in Form von Mitarbeit geleistet hatte, lebte er sich in seiner neuen Umgebung gut ein, fühlte sich wohl und profitierte vom Leben in der Gruppe. Regelmäßig machte Sebastian aber auch „Urlaub“ im Elternhaus, was aufgrund der räumlichen Nähe problemlos möglich war. 

So auch im Herbst 2021, als Anke Roesch ihn, nachdem sich sein Gesundheitszustand bereits über das vergangene Jahr zunehmend verschlechtert hatte, abholte, um ihn zu Hause mal wieder richtig zu verwöhnen. Anke Roesch merkte schnell, dass dieses Mal etwas anders war und benachrichtigte ihren Mann und Sebastians Brüder. 

Als die ganze Familie anwesend war, durfte Basti am Abend im Arm seines Bruders friedlich einschlafen. Traurigkeit und Dankbarkeit, das waren die vorherrschenden Gefühle. 

An den Tagen danach durften sich alle Wegbegleiter in Ruhe von Sebastian verabschieden, auch die Aussegnungsfeier wurde dank einer befreundeten Pfarrerin in dem Haus, in dem Sebastian aufgewachsen ist, mit den Menschen, die ihn begleitet und geliebt hatten, gefeiert.

Der Glaube und der Zusammenhalt innerhalb der Familie halfen auch in diesen schweren Stunden. Rituale wie das gemeinsame Bemalen der Urne und viele Gespräche: Die Familie hatte sich ihr eigenes Auffangnetz geschaffen.

Basti ist und bleibt bei uns

„Ich wusste, dass ich nicht dauerhaft in ein Loch fallen werde, dafür hatte ich noch zu viele Pläne. Und letztlich ist es beruhigend, dass Basti vor uns gegangen ist, so konnten wir ihn bis zuletzt begleiten.“

Anke Roesch ist auch heute wieder gewohnt aktiv. In ihrer Rolle als zweifache Großmutter geht sie auf und genießt die Zeit mit den quirligen Enkelkindern. Auch verbringen ihr Mann und sie wieder mehr gemeinsame Zeit, beispielsweise bei der Gartenarbeit. 

Aber: „Basti bleibt und ist bei uns. Es vergeht kein Tag, an dem nicht an Basti gedacht und von ihm gesprochen wird,“ sagt seine Mutter. 

In seinem liebevoll eingerichteten Zimmer, dem Basti-Zimmer, hat sich wenig verändert. Nur dass Anke Roesch dort nun mit den Enkelkindern spielt und kuschelt. Insbesondere Sebastians kleiner Neffe besteht weiterhin auf regelmäßigen Besuchen bei seinem Onkel Basti auf dem Friedhof.

Sein Lächeln fehlt uns sehr

Sebastian wurde in eine liebevolle Familie geboren, wuchs geliebt und fürsorglich umsorgt auf, wurde begleitet und unterstützt und durfte im Arm seines Bruders und im Kreis seiner Familie einschlafen.

„Es ist gut so wie es ist, aber sein Lächeln fehlt uns sehr“

(Anke Roesch)

Teile deine eigene Geschichte

um andere Familien auf ihrem Weg zu unterstützen und ihnen Mut zu machen.

Diesen Beitrag teilen: