Familienporträt Kleinkinder

Familienporträt Kleinkinder
© Privat

Es geht so viel mehr als man denkt

Anna aus Deutschland erzählt im Interview liebevoll vom Weg ihrer Familie mit ihrem Sohn Ole und ihrer erkrankten Tochter Nele. Von leise anklopfenden Zukunftsängsten und schlaflosen Nächten, vor allem aber von ganz viel Unterstützung, Liebe und schöner gemeinsamer Zeit.

Liebe Anna, wer gehört zu eurer Familie?

Wir sind Jens (36 Jahre), Anna (36 Jahre), Ole (5 Jahre) und Nele (4 Jahre)

Erzähl doch mal ein bisschen von dir und deiner Familie.

Neben vielen Unternehmungen mit unseren Familien und Freunden, genießen wir Ausflüge, Vereinstätigkeiten, Reisen, unseren Garten und gemütliche Zeit zu Hause.

Jens arbeitet zu 100% in einem Kryotechnik-Unternehmen und ich zu 60% in einem Beratungsunternehmen. Die Kids sind beide im Kindergarten. Nele besucht einen Kindergarten für körperbehinderte Kinder.

Ole und Nele sind ein Herz und eine Seele, bei keiner anderen Person strahlt Nele solche Freude aus. Beide mögen Aktion, je wilder, desto besser und Nele ist immer mittendrin.

Wir leben ein ganz „normales“ Leben. Vielleicht ein bisschen anders als wir uns „normal“ vor Nele vorgestellt haben, aber für uns jetzt ganz normal und gut.

Wie begann euer PCH2 Weg?

Der erste Verdacht bestand kurze Zeit nach Neles Geburt. Sie war körperlich sehr angespannt und das Trinken fiel ihr schwer, sodass sie abgenommen hat. Während eines Klinikaufenthaltes konnte keine Ursache gefunden werden. Ihr Kopf wurde mehrfach geröntgt, aber es wurde immer alles für „in Ordnung“ befunden. Daheim hat sich dann auch alles soweit gut eingespielt. Nele hat sich meistens wohl gefühlt und langsam zugenommen.

Allerdings sind weitere Entwicklungsschritte ausgeblieben: kein Greifen, kein Augenkontakt, weiterhin sehr angespannte Körperhaltung, Hände meistens zu Fäusten geballt und die Nahrungsaufnahme war immer noch sehr langsam.

Nach 9 Monaten wurde ein MRT durchgeführt. Die Diagnose wurde uns kurz und wenig einfühlsam mitgeteilt.

„Ihr Kind wird wahrscheinlich nicht älter als 2-4 Jahre“, dieser Satz kam sehr unvorbereitet. Das war hart. Die Diagnose wurde dann noch durch eine Blutuntersuchung bestätigt.

Wie ging es euch in dieser ersten Zeit? Was hat euch geholfen und was war am schwersten?

Von den Ärzten wurden wir nach der Diagnose mit nur wenigen Informationen nach Hause geschickt. Dr. Google, den wir im Normalfall nicht kontaktieren, war unsere einzige Anlaufstelle.

Er hat uns direkt zur PCH-Familie geführt, ein absoluter Glücksfall. Neben dieser großartigen Plattform mit wunderbaren Menschen und hilfreichen Infos, haben uns aber vor allem auch unsere Familien und Freunde geholfen.

Auch unser Kinderarzt und die Lebenshilfe standen uns wunderbar zur Seite.

Die erste Zeit nach der Diagnose war emotional sehr schwer. Es wurden gemeinsam viele Tränen vergossen, viele Gespräche geführt und recht schnell versucht, in die Normalität zurückzukehren.

Das ist uns allen zusammen recht gut gelungen, vor allem auch dank Nele: Weil sie einfach so wunderbar ist, wie sie ist!

Welche Symptome hat Nele?

– Wenige, nicht altersgerechte Entwicklungsschritte (aber: wenige bedeutet nicht „keine“)

– abwechselnd verringerte und erhöhte Körperspannung

– zu kleiner Kopfumfang

– Wahrnehmungsstörung (kann Blickkontakt herstellen, aber mit Verzug)

– starkes Verschlucken (beim Essen oder am Speichel)

– Immer mal wieder Schlafschwierigkeiten / Unruhe

Die Wahrnehmung hat sich im Laufe der letzten Jahre enorm verbessert, sie reagiert sehr stark auf manche Personen.

Dafür ist das Thema Schlafen etwas schlechter geworden.

Welche Symptome empfindet ihr als am belastendsten für euch und Nele?

Derzeit das Thema Schlafen. Nele braucht teils sehr lange zum Einschlafen und wacht mehrmals nachts auf.

Den Rest sehen wir einfach als komplett Nele-normal und gut an.

Zu diesem „normalen“ Gefühl trägt sicherlich bei, dass Nele glücklicherweise (noch) keine Medikamente benötigt, keine Anfälle hat und via Brei ernährt werden kann.

Was hilft euch, euren Familienalltag zu meistern? Wo und durch wen bekommt ihr Unterstützung?

Wir sind dankbar, dass wir im Moment ein „recht normales“ Leben führen können. Mit Kindergarten und Arbeit. Wir haben einen guten Rhythmus und Alltag.

Die meiste Unterstützung erhalten wir durch unser Umfeld, welches Nele als komplett normal annimmt. Wir spüren bisher keine Differenzierung. Alle sind sehr liebevoll im Umgang mit unserer Maus und binden sie ein.

Die Großeltern passen auch regelmäßig auf unsere Kinder auf. In den Ferien unterstützen uns zwei ehrenamtliche Frauen, das ist wunderbar.

Welche Hilfsmittel helfen euch und Nele?

Es war ein langer Weg, aber mittlerweile mag Nele Auto- und Kinderwagenfahren. Daher wollen wir auf unseren sportlichen Kinderwagen und den drehbaren Autositz nicht mehr verzichten. Für Ausflüge und Reise haben wir noch einen Sitzaufsatz, der einfach mitzunehmen ist. Wir sind viel unterwegs und das klappt super.

Nele hat einen Therapiestuhl, welcher ironischerweise den Modellnamen „Nele“ trägt. Er ist höhenverstellbar, so kann sie immer auf Augenhöhe mit dabei sein.

Nele duscht sehr gerne auf ihrem Dusch-Liegestuhl.

Im Kindergarten kommen der Stehständer und ein Dreirad zum Einsatz.

Was sind die größten (Alltags-) Herausforderungen für euch?

Unsere größte Herausforderung (neben dem fehlenden Schlaf) besteht derzeit in der Befürchtung, dass das zunehmende Alter und Gewicht Herausforderungen mit sich bringen wird. 

Neles Großeltern sind fester Bestandteil von Neles Betreuung, aber körperlich wird es natürlich nicht einfacher. 

Auch kann es jederzeit sein, dass z.B. die ehrenamtliche Betreuung wegfällt, darüber machen wir uns einige Gedanken.

Herausfordernd empfinde ich auch die vermehrt aufkommenden „offensiven Blicke“ in Richtung unserer Maus. Diese bringen immer mal wieder ein mulmiges Gefühl im Bauch. Sie sind nur normal, man möchte verstehen – aber es gibt Tage, da schmerzen sie etwas mehr, da sie die „gefühlte Normalität“ ins Wanken bringen.

Aber aktuell kommen wir die meiste Zeit sehr gut durch unser Leben und unseren Alltag und sind größtenteils zufrieden.

Wie sieht denn so ein normaler Tag in eurer Familie aus?

Idealerweise steht einer von uns vor den Kids auf und bereitet alles vor. Wir übernehmen abwechselnd morgens die Kinder, das bedeutet, einer geht ins Büro und der/die andere kümmert sich um die Kinder, bringt sie in den Kindergarten und geht anschließend ins Homeoffice. 

Zwischen 12.30h und 15.30h holen wir die Kinder dann wieder ab.

Nach Neles Mittagsschlaf, geht’s in Richtung Hobbies von Ole (Turnen, Fußball, Freunde), Ergotherapie von Nele, gemeinsam zu Freunden oder Verwandten oder wir bleiben gemütlich zu Hause.

Abends wird gemeinsam warm zu Abend gegessen, nochmal gespielt, alle paar Tage geduscht und um 19 Uhr geht’s für die Kinder ins Bett.

Kannst du uns ein paar eurer schönsten Familienmomente schildern?

Besonders schön empfinde ich immer alle Geburtstage. Neles ganz besonders, da wir jedes weitere Jahr ganz besonders freudig und dankbar feiern.Es ist ein anderes Bewusstsein vorhanden seit der Diagnose.

Wir verreisen regelmäßig mit Freunden, sind alle zwei Jahre mit der Großfamilie in der Bretagne und seit neuestem auch gerne in Familienhotels in der Bergen unterwegs.

Letztes Jahr waren wir für 3 Wochen mit Verwandten in Kanada und den USA – das war eine ganz aufregende, entspannte und interessante Zeit, die gezeigt hat, dass vieles geht – und sogar richtig gut!

Ganz besonders in Erinnerung ist mir das Erlebnis „HotPot“ von Nele mit ihrem Papa – beide mit einem riesengroßen Lächeln im Gesicht. Danach hat mein Mann sofort recherchiert, ob er seiner Nele so einen Whirlpool für den Garten besorgen kann.

Ich hoffe wir können diese Normalität und die vielen Aktivitäten auch mit zunehmender Größe von Nele beibehalten.

Was hat sich im Laufe der Zeit verändert und wie geht es euch als Familie heute?

Uns geht’s richtig gut, das liegt wahrscheinlich vor allem daran, dass es unserer Nele richtig gut geht. 

Die größte Veränderung gegenüber der Anfangszeit ist die Akzeptanz der Situation und die nur noch selten auftretende Trauer und Angst. 

Für uns und unser Umfeld ist das Leben mit Nele absolut normal und richtig gut, so wie es ist. Wohl aus diesem Grund sehen wir unser Kind nur selten als „krank“ bzw. „anders“ an und leben einfach unser Leben so normal wie es jetzt ist.

Was würdet ihr euch für eure Nele wünschen?

Wir wünschen uns von Herzen für Nele, dass sie noch lange genauso glücklich und meistens zufrieden leben kann, wie sie es jetzt und schon seit Langem tut.

Warum ist eure Nele etwas ganz Besonderes?

Nele hat unseren Blickwinkel auf viele Dinge und Aspekte des Lebens stark geprägt. Unser Fokus auf das Wesentliche im Leben und die vielen kleinen Freuden wurde geschärft. Wir sehen weniger als selbstverständlich an.

Zu Beginn wurde uns ein sehr minimaler Entwicklungsausblick gegeben und Nele hat uns schon mehrfach eines Besseren belehrt – wir erfreuen uns an jedem Lächeln und noch so kleinen Schritt unserer Maus. Und daran, dass sie ein richtig gutes und glückliches Leben führt, da sind wir uns sicher!

Auch spüren wir pure Liebe – von Nele, aber auch von vielen für unsere Nele. Das ist ganz besonders!

Was würdet ihr Eltern, die gerade erst die Diagnose PCH2 erhalten haben, gerne mit auf den Weg geben?

Es geht so viel mehr, als man vielleicht in den ersten Momenten nach der Diagnose denkt!

Es gibt hier viele Infos aus erster Hand. Man ist nicht allein! Es gibt Personen, die genau wissen, was in einem vorgeht, welchen Kummer man trägt, welche Zukunftsängste man hat.

Unser Ziel war von Anfang an, so normal zu leben wie nur irgend möglich und das gelingt uns zum Glück sehr gut. Aber das hängt natürlich auch von der Situation des Kindes ab, wie zufrieden und gut eingestellt es ist.

Aber wenn machbar, ist so viel Normalität wie möglich meiner Meinung nach absolut hilfreich und wohltuend.

Es geht so viel mehr als man denkt

(Anna)

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